Reiseerfahrungen mit "Wirlingen"


Sie sind selten, erscheinen im Umgang manchmal seltsam und skurril – reden miteinander oftmals ausschließlich über Blicke bzw. Gesten und verstehen sich trotzdem blendend. Die Rede ist von der Spezies der: WIRLINGE.


Hat man das Glück- oder Unglück, solche Wirlingspaare auf Reisen – oder noch intensiver auf gemeinsamen Gruppenreisen – kennenzulernen, so macht man vielfältige und neuartige Erfahrungen über Paarbeziehungen.


Diese „individuellen Duos“ fallen durch diverse Merkwürdigkeiten auf. In Gesprächs­runden machen sie z.B. auf sich aufmerksam, indem der zunächst schweigsame Partner die begonnenen Halbsätze des anderen zur allgemeinen Zufriedenheit von Beiden und sogar verständlich für die Mitreisenden beendet.


Wirlinge fotografieren auch unabhängig voneinander dieselben Motive, haben gleichzeitig Hunger, bestellen unabhängig voneinander die gleichen Speisen und sitzen im Restaurant selbstverständlich neben-„einander“ statt „gegen“-über.


Besonders intensive Wirlinge fallen den Mitreisenden durch gleichzeitigen und gemeinsamen Toilettengang auf. Offensichtlich ist auch das Verdauungsbedürfnis gleichgeschaltet. Als Folge ist zu beobachten, dass sich die Wirlinge auch im Körperumfang anpassen, was sich bei der Garderobenwahl vorteilhaft auswirken kann. Pullis und Jacken können im Urlaub partnerweise getauscht werden. Man spart demzufolge Aufwendungen, obwohl jeder für sich subjektiv das Gefühl hat, einen umfangreich ausgestatteten Kleiderschrank zu besitzen.


In einer Reisegesellschaft fallen diese „Identitäten“ auch dadurch auf, dass sie bevorzugt immer jene Witze erzählen, die die andere Wirlingshälfte schon kennt und dementsprechend auch bei Langatmigkeit des Partners kurzfristiger zu Ende führen kann. Das diese beide Hälften eines Ganzen auch nur über dieselben Witze lachen können, versteht sich von selbst.


Sollte das Adoptionsverfahren geändert werden, so würde der jeweils andere Wirling mit Sicherheit seine Partnerhälfte adoptieren, um damit endgültig sein Leben erst richtig zu komplettieren.


Für die Mitreisenden ist auch merkwürdig, dass Wirlinge – laut eigener Aussage – grundsätzlich alle Außenaktivitäten gemeinsam erledigen. Ärzte beklagen z.B. demzufolge bei dieser Spezies überlange und zudem dann noch „außertarifliche“ Behandlungszeiten, da der jeweilige Wirlingspartner beim gemeinschaftlichen Arztbesuch die gleichen Fragen noch mal beantwortet wissen möchte, die der zu behandelnde Wirlingspartner schon zur allgemeinen Zufriedenheit – zumindest aus Sicht des Arztes – beantwortet bekommen hatte.


Auf Aktivitätenebene in der Freizeit ist ebenfalls Gleichschaltung angesagt. Lädt man z.B. einen Wirling ein, kommen beide. Wirlinge berichten, dass, wenn die eine Hälfte einen Erste-Hilfe-Kurs besucht, die andere mitkommt und versucht kostenfrei als Dummie beim Training „der stabilen Seitenlage“ zumindest seinem Partner dienlich zu sein.


Mitreisende werden von den Wirlingen eher skeptisch beobachtet, inwieweit sie deren „Einsamkeit“ beschränken. So ist es nicht überraschend, dass ein Großteil dieser Spezies laut eigenem Bekunden in ihrem Privatleben häufige Verwandten­besuche – zumal wenn sie unangemeldet erfolgen – als ebenso störend empfinden wie spontane Besuche von den wenigen vorhandenen Freunden. Eine zu hohe Kontaktintensität lenke von ihrer Wirlingswirklichkeit ab.


Zurückzukommen auf das in der Reisegemeinschaft zu beobachtende Verdauungs­verhalten, ist auch anzumerken, dass das Essverhalten der Wirlinge gleichgeschaltet ist. Aus einer Reihe von Speisenangeboten wählen beide – jeweils unabhängig voneinander – die gleichen Speisen aus. Dies führt manchmal innerhalb der Reise dazu, dass cleveres Bedienungspersonal Optimierungsmöglichkeiten sehen, in dem sie z.B. diese Doppelbestellung im Umfang pro Wirling so reduzieren, dass sich hierdurch verdeckte Einsparungspotenziale und damit Kostenvorteile ergeben.


Eine lästige und belastende tägliche Diskussion über das abendliche Reise-Freizeit­programm entfällt bei den Wirlingen ebenfalls, da sich dieses durch gemeinsame Interessen von selbst ergibt.


Wirlinge versprechen sich durch dieses spannungsfreie Leben und diese Symbiose miteinander ein langes und zufriedenes Leben. Offensichtlich ist es so, dass, wenn sie sterben müssten, sie sich wünschen, dass dies dann auch gleichzeitig und gemeinsam erfolgen sollte. Dies würde dann für dieses Wirlingspaar bedeuten, dass sie sprichwörtlich „Glück im Unglück“ gehabt hätten.


Mitreisende Paare sind geneigt, Wirlingspaare zu idealisieren und ihre eigene Partnerrealität mit diesen zu vergleichen ohne hinreichend die sich ergebenen Pro’s und Con’s einer solchen Paarkonstellation zu reflektieren. Ihnen sei zur Beruhigung gesagt, dass schon Goethe formulierte: „Gleichheit bringt Ruhe, der Widerspruch ist es was uns anregt.“



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