Komplementär statt elitär!


Der Gedanke einer Komplementarität wird getragen durch ein „sowohl als auch“ anstelle des „entweder - oder“. Schauen wir uns einige Staatsleute aus der Vergangenheit an, so entdecken wir sog. „duale Komplementärstrukturen“. Aus den vorliegenden Informationen über die Politiker Brandt und Wehner wird erkennbar, dass beide sich ebenso komplementär ergänzten wie Kohl und Schäuble oder Schröder und Fischer.


Bilder: welt.de


Jeder hatte seine Kerngebiete, seine Kernkompetenz. Der Überlappungsbereich war relativ gering. Durch kontinuierlichen aber durchaus auch konfliktgeladenen Dialog wurden gemeinsame Ziele unter Berücksichtigung der jeweiligen individuellen Interessen und Kompetenzen vereinbart und umgesetzt. Es ist nicht verwunderlich, dass Familientherapeuten als einen zentralen Erfolgsfaktor für eine stabile und zufriedenstellende Paarbeziehung, die kontinuierliche Dialogbereitschaft und die stete Kommunikation beider Partner insbes. über unterschiedliche Interessen und Einstellungen hervorheben. Eine solche komplementäre Beziehungssicht, lässt Individualität in einer Partnerschaft zu und sieht hierin nicht eine Bedrohung, sondern eine Bereicherung.

 

Diese gemeinsamen Vorgehensweisen nehmen verschiedene Perspektiven des Denkens und Handelns auf. Jeder der beiden Akteure vergrößert sein individuelles Handlungsspektrum in Komplementarität zu seinem „Mitstreiter“. Populärer in der Betrachtung sind die Komplementärstrukturen im Bereich des Sportlebens. Für die älteren Sportinteressierten werden z.B. die Fußball-Komplementär-Partner Netzer und Wimmer, Beckenbauer und Schwarzenbeck, Ballak und Frings oder für die Jüngeren Khedira und Özil im Gedächtnis sein. Aus der Golfwelt sind legendäre Komplementär-Paare von Player und Caddy ebenso bekannt.

 

Auch in der Unternehmenswelt sind Komplementär-Partnerschaften erfolgver­sprechend. Schon relativ früh hat sich diesem Komplementärgedanken Lee Lacocca in seiner Zeit bei Chrysler zugewandt, indem er ausführte, dass er herausragende Aufgaben, die er nicht selbst bewältigen konnte, an die delegierte, von denen er wusste, dass sie diese Kompetenz besaßen, um anschließend von diesen Personen wiederum zu lernen. Jack Welch scharte bei General Electric (GE) ebenfalls erfolgreich Komplementärpartner um sich. Schon in einem vor zwei Jahrzehnten veröffentlichen Artikel der Forbes sind zahlreiche weitere Duos, die seinerzeit schon nach dem Komplementär-Prinzip arbeiteten, benannt.

 

Neben den hier nur skizzenhaft angeführten Beispielen dualer Komplementarität sind ähnliche Effekte auch auf Gruppenebene zu beobachten. Eine Abteilung, die dadurch gekennzeichnet ist, dass sie in hohem Maße individuelle Fähigkeiten und Fertigkeiten integrieren muss, ist zwangsläufig auf das Prinzip der Komplementarität angewiesen (z.B. im Bereich der Entwicklung). Dem gegenüber stehen Abteilungen mit einem hohen Maß gleichartiger Tätigkeiten, wo eher die Leistungsmenge und das Vollbringen der gleichen Tätigkeiten in kurzen Zeitintervallen als Erfolgskriterien gelten, z.B. im Produktionsbereich.

 

Um der Analogie der Sportwelt weiter nachzugehen, können wir das Bild einer Fußballmannschaft verwenden, wo die einzelnen Positionen jeweils mit anderen Akteuren und diversen Erwartungen vom Umfeld gesteuert werden. Jeder Spieler ist von der Gesamtheit komplementär abhängig. So wie der Mittelstürmer die Flanken seines Verteidigers benötigt um Tore zu erzielen, so ist der Verteidiger davon abhängig, dass schon im vorderen Mittelfeld gegnerische Aktionen abgeblockt werden, damit er seine originären Aufgaben befriedigend erledigen kann.

 

Insbesondere ist das Prinzip der Komplementarität auf Teamebene bei erfolgreichen Projektteams zu beobachten. Diverse unternehmerische Funktionen werden auf das Projektziel fokussiert. Dabei bedeutsam sind u.a. das Erkennen und der Einsatz unterschiedlicher Rollen im Rahmen der Zielerreichung. Der Komplementär-Gedanke ist auch das zentrale Element in den Zielsetzungen des Diversity-Managements, in dem Andersartigkeit gefördert und effektiv umgesetzt wird. Erfolgreiche Geschäfts­leitungsteams arbeiten nicht nur aufgrund unterschiedlicher Funktionen komplemen­tär zusammen, sondern insbesondere durch die Komplementarität von individuellen Werten, Einstellungen und Verhaltensweisen.

 

Der Komplementärgedanke im Sinne einer systemischen Vernetzung von Kernkompetenzen hat sich auch in fortschrittlichen Unternehmensberatungen weitestgehend schon durchgesetzt. Strategieberater integrieren beispielsweise Struktur- und Kulturconsultants (und vice versa) im Rahmen umfangreicher unternehmerischer Veränderungsprozesse, um dem komplementären Dreiklang der Unternehmensführung von Strategie, Struktur und Kultur effektiv Rechnung zu tragen.




Artikel als PDF-Datei speichern