Reiseerkenntnisse beim Kaufprozess
Als passionierter Sammler alter Schreibgeräte ist man immer auf Entdeckungsreise und freut sich über jede Überraschung.
Anlässlich einer langen Reise mit den Stationen Singapur, Hongkong, Sydney und Auckland erlebt man dabei schon einige Merkwürdigkeiten.
Während in Singapur und Hongkong die Anzahl der mehr schlechten als rechten Imitate aller gängigen Marken nicht weiter überraschend ist, musste ich auf diesen Stationen jedoch schon mit den ersten Enttäuschungen umgehen. Die erhofften alten original-chinesischen „Monsterfüller“ mit einem Durchmesser von ab 3 cm (wovon ich schon einige auf vorherigen Reisen als „Schnäppchen“ erstehen konnte) gelangten dieses Mal überhaupt nicht in mein Blickfeld und konnten dementsprechend nicht als „Reisebeute“ mit nach Hause genommen werden.
Statt dessen erstand ich - wie immer - per Zufall ein „51“-er Parker-Schreibset mit „Geschichte“.
Auf einer der vorgelagerten Inseln von Sydney, die - und das sollte man wissen - nur mit einer Fähre bis ca. 16.00 Uhr nachmittags zu erreichen sind, kam ich unwissend über diese Zeitrestriktionen erst nach Mittag an.
Zu meiner Überraschung wurde ich von den „Einheimischen“ der Gestalt begrüßt, dass sie bei meinem „Landgang“ unvermittelt nachfragten, wann ich die Insel denn wieder verlassen würde, denn sie wollten ihre Ruhe haben. Zuviel Tourismus würde ihr seelisches Gleichgewicht eher gefährden. Auf meine Frage, ob diese Einstellung nicht abträglich wäre für die - wenn auch wenigen Geschäfte auf der „Mainroad“ - antwortete man mir, man würde genug verdienen, auch in den wenigen Stunden wo die „Außerirdischen“ auf ihrer Insel strandeten.
Kurz bevor ich mich gezwungen sah, die Insel gemäß des restriktiven Fährenfahrplans wieder zu verlassen, entdeckte ich einen alten Laden mit eben so altem Verkaufspersonal, dafür aber mit einem sehr breiten Sortiment aller möglichen Utensilien.
Zu meiner Überraschung befand sich in einem der unteren verstaubten Glasregale ein „51“-er Parker-Schreibset (Füller plus Bleistift) mit Originalbox (No. 270, Made in USA), welches offensichtlich zum Verkauf stand.
Die gelangweilte und schon mit dem Feierabend liebäugelnde Bedienung schaffte es nach mehrmaliger Aufforderung, dieses Set, welches sich unterhalb ihrer eigenen Kniebereiche befand, auf die ebenfalls reinigungsbedürftige Verkaufstheke nach oben zu befördern.
Dabei merkte sie an, dass dieses Set ihr an Herz gewachsen sei und sie sich wohl kaum davon trennen könnte und dementsprechend kein Verkaufspreis auf der Ware stehe.
Eine sorgfältige Prüfung des gefundenen „Schatzes“ meinerseits verfolgte sie mit Skepsis und mit immerwährender Wiederholung ihres Trennungsschmerzes und des von ihr abrupt verlangten Kaufpreises in Höhe von 70 australischen Dollar (ca. 60 Euro), sofern sie sich überhaupt auf einen Verkauf einlassen würde.
Das „51“-er Parker-Set mit 14 Karat Feder und 14 Karat Vergoldung beider Schreibgeräte war, was den Bleistift angeht in Ordnung. Der Füller hatte einige Macken.
Füller und Bleistift wiesen eine dicke Gravur auf, mit dem Namen R. Twogood und weiterhin darunter FJ 6742, was mir demzufolge den oben angegebenen Preis verständlich erschienen ließ.
Aber was bedeutete R. Twogood und die Gravur FJ 6742? Sofort wurde meine Phantasie angeregt. War R. Twogood vielleicht ein Offizier in einem Bataillon 6742 oder bedeutete die Abkürzung FJ vielleicht Fahnenjunker? War vielleicht Herr Twogood sogar in einem deutschen Regiment tätig gewesen? Hatte er (ich glaubte nicht, dass es eine Sie sein könnte) vielleicht kriegswichtige Dokumente oder Urteile mit dem Füller unterschrieben und wen ja, wie oft? Warum hatte er den Bleistift im Schreibset? Vielleicht hatte er zur Vorsicht zunächst wichtige Sachverhalte mit dem Bleistift vorgeschrieben, bevor er sie dann mit dem Füller endgültig ins Original übertrug? ....
In meinen Gedanken gefangen wurde ich durch ein markerschütterndes Schiffahrtshorn unterbrochen, welches mich unmissverständlich auf die letzte Bootsabfahrt aufmerksam machte. Die Folge war schlussendlich eine schnelle Kaufentscheidung ohne vorherige Verhandlung, was der alten Dame offensichtlich half, ihren Trennungsschmerz schnellstens zu überwinden. Dabei wies sie zudem immer wieder darauf hin, dass ein solches Prachtstück weder auf der Insel, ja sogar in ganz Australien zu diesem Preis nicht mehr zu kaufen wäre. Außerdem hätte sie jetzt Feierabend und lange Verhandlungen würden nur dazu führen, dass für mich, wenn ich die Bootsabfahrt verpassen würde, der Kauf kostspieliger werden würde, da u. U. eine Übernachtung auf der Insel die Folge wäre. Diesen Argumenten war wenig entgegen zu setzen, sodass ich - wenn auch etwas unsicher - in den Kauf einwilligte.
Wenn ich diese kurze Geschichte im nachhinein reflektiere, so zeigt sich für mich, dass ich auf diverse Verkaufstricks reingefallen bin, die die alte Dame - wohl unbewusst - angewendet hat.
- Wechselt man die Käufer- in eine Verkäuferperspektive, so
können hieraus
einige interessante Verkaufstipps gewonnen werden:
- Biete
„verstaubte“ Ware an, von der du dich offensichtlich schon seit einigen
Jahren nicht trennen kannst.
- Etikettiere keinen Verkaufspreis auf das Verkaufsobjekt.
- Zeige dich uninteressiert an einem Verkauf.
- Nenne einen Kaufpreis erst bei sichtbarem Kaufinteresse.
- Mache deine Ware zu einem knappen Gut, z.B. indem nur ein Exemplar im Verkaufsregal sichtbar ist.
- Biete keine Verkaufsalternativen an.
- Erzähle
eine „Story“ über das Verkaufsobjekt, sodass der Käufer gleichzeitig
beim Kauf eine Geschichte mit erwirbt.
- Intensiviere
bei Kaufinteresse den Entscheidungsdruck mittels "äußerer"
Umstände, z.B. durch Hinweis auf „Trennungsschmerz“, weitere
Kaufinteressenten, Zeitdruck etc.
Vielleicht erinnert sich der interessierte Leser mit einem Augenzwinkern an Situationen in denen er ähnliche Kauferfahrungen machen durfte, wenn auch vielleicht nicht an so attraktiven Orten, wie auf einer sonnendurchfluteten Insel in Australien.