Führungskräfte
Anforderungen - Defizite - Perspektiven


Inhalt:

  1. Führungsanforderungen
  2. Führungsdefizite
  3. Führungszukunft


1. Führungsanforderungen

Betrachten wir einige der bedeutsamen Fähigkeiten und Fertigkeiten, die Führungskräften im Rahmen ihres Berufslebens zugesprochen werden, so zeigen Untersuchungen, dass nahezu weltweit ähnliche Anforderungen an Manager und Managerinnen bestehen. Sicherlich haben diese Voraussetzungen je nach Land und Kultur unterschiedliche Bedeutung in ihrer Rangfolge.

Als besonders wichtig werden z. B. genannt:

  • Changemanagement-Kompetenzen
  • Projektmanagement-Erfahrungen
  • Entscheidungsfähigkeit
  • Vertrauensbasierte Mitarbeiterführung
  • Berechenbarkeit und Glaubwürdigkeit
  • Verantwortungsübernahme und hoher Arbeitseinsatz
  • analytische Fähigkeiten und Risikofreudigkeit
  • Integrität und positive Lebenseinstellung


Solche Aufstellungen haben allerdings nur einen geringen individuellen Wert, da die einzelnen Gewichtungen beispielsweise zwischen kaufmännischen und technischen Führungskräften und deren Aufgaben sowie Führungssituationen und den vorzufindenden Mitarbeiterqualifikationen unterschiedlich verlaufen. Persönlich bedeutsam werden diese von außen an die Führungskräfte herangetragenen Erwartungen erst dann, wenn sie von der Führungsperson als nicht bzw. kaum zu bewältigen angesehen werden.

2. Führungsdefizite

Oftmals werden individuell die als stressfördernd angesehenen qualitativen Anforderungen, z. B. die Changemanagement-Kompetenzen, verstärkt durch ebenfalls stressfördernde Elemente, die eher quantitativen Charakter haben, z. B. hoher Arbeitseinsatz. In einer solchen Konstellation potenziert sich das Unwohlsein in der aktuellen Führungsrolle. Führung wird zur „Qual“, und zwar sowohl für die Führenden als auch für die Geführten. Es verwundert demnach nicht, wenn sich in Deutschland Untersuchungen zufolge rund 2/3 der Mitarbeiter von Wirtschaftsunternehmen über gravierende Führungsdefizite ihres Managements beklagen.

 

Dabei idealisiert das soziale Umfeld diese Muss-Kriterien eines erfolgreichen Managers. Eine solche Führungskraft muss nach den Erwartungen von Seiten der Geschäftsführung z. B. in erster Linie für eine schnelle Anpassung an Veränderungen sorgen. Aus Mitarbeitersicht ist z.B. die Art der Menschenführung am bedeutendsten, aus Kollegensicht der Faktor Integrität. Fachlich werden von dem Manager je nach Aufgabenfeld unterschiedliche Fähigkeiten verlangt, beispielsweise analytisches Denken und Projektmanagement-Erfahrungen.


Alle Anforderungen sollen je nach Sicht der betreffenden Referenzgruppe optimal in einer Person integriert sein. Dies ist in vielen Fällen schlichtweg unmöglich. Eine Stresspotenzierung findet statt, zum Teil dadurch verstärkt, dass der betreffende Manager selbst ohne klare Prioritäten und ohne konkrete Zielsetzungen im Unternehmen verankert ist. Will er allen Erwartungen entsprechen, zerbricht er; steckt er für sich selbst keine Ziele, so wird jeder Weg richtig und ein Soll-Ist-Vergleich unmöglich.Führungskräfte dürfen nach eigenem Bekunden kaum Schwächen zeigen. Sie empfinden sich als Schauspieler in einem avantgardistischen Stück ohne Textbuch mit z. T. nur unklaren Regieanweisungen. Das Erwartungsspektrum reicht dabei vom „Strahlemann“ über den „Durchsetzer“ bis hin zum „Vater“ bzw. zur „Mutter der Kompanie“.


Führungskräfte wandeln sich mit dem Sprung zur Spitze zu Leitfiguren. Sie müssen Sicherheit, Stärke und den Stil des Hauses demonstrieren. Jeder Manager muss nachweisen, dass er der Beste und nicht nur der Bestbezahlte ist.


Das Motiv der Machtausübung oder, wie ein Vorstandschef feinsinniger formulierte, der „Gestaltungswille“ ist vielfach die Triebfeder für die Karriere. Zitat: „Kein Mensch sucht nur die Aufgabe – wer nach oben will, will mehr von allem.“


Dabei unterliegt die Führungskraft permanenten Rollenzwängen. Nicht nur von außerhalb und innerhalb des Unternehmens, sondern auch im inneren Dialog wird er von Rollenzwängen bestimmt. Fragen zur Familie, z. B. zur Vater- oder Mutterrolle, werden oftmals verdrängt bzw. auf die Zukunft verschoben.


Wer an der Spitze bleiben will, darf sich viele Fragen nicht stellen. Selbstzweifel mindern die Machtposition und verunsichern sowohl die Kollegen und Mitarbeiter.


Die vom Autor durchgeführten vielfältigen Gruppendiskussionen mit Führungskräften zu dieser Thematik zeigen auf, dass im Berufsalltag der Führungskraft die täglichen Sachaufgaben notwendige Managementaufgaben verdrängen. Dies ist besonders dann verstärkt der Fall, wenn das Stellenprofil des Managers vorrangig über das Erledigungspotenzial von Sachaufgaben definiert ist. Führung im Sinne von Menschenführung versiegt.

Allgemein ist ein wachsender objektiver (z. B. durch laufende organisatorische und personelle Veränderungen) und subjektiver (z.B. durch neue und höherwertige Rollenanforderungen) Problemdruck bei Führungskräften zu beobachten, der eine Führung im kooperativen Sinne erschwert. Gerade in Krisenzeiten entsteht eine „Flucht“ in ein mehr autoritäres Verhalten. Hierarchische Macht wird als Problemlösung eingesetzt, in der Regel allerdings mit nur kurzzeitigem persönlichen und unternehmerischen Erfolg.


Die oftmals beobachtbare geringe Zeit für die Erledigung von Führungsaufgaben und verstärkte Hinwendung zu eher autoritärem Verhalten wirken sich für den Manager mit steigender Hierarchiestufe qualitativ negativ aus. Je höher die Führungskraft innerhalb der betrieblichen Hierarchie aufsteigt, desto wichtiger wird Führungswissen; die Koordinationserfordernisse steigen, ein adäquater zwischenmenschlicher Umgang wird verlangt. Hat der Manager in vorherigen Führungspositionen nicht die Chance gehabt, Führungswissen und -verhalten zu erlernen und sein eigenes Verhalten im Spiegel seines sozialen Umfeldes (z. B. durch 360-Grad-Feedback) zu reflektieren, so entbehrt er einen wichtigen Karrierefaktor für seinen nachhaltigen betrieblichen Aufstieg.

3. Führungszukunft

Je komplexer und damit auch unüberschaubarer Organisationen werden, desto stärker müssen Manager zielbezogenen und bewussten Einfluss auf die Mitarbeiter nehmen. Im Rahmen dieses Prozesses wird beidseitig – vielfach unbewusst – auch eine Werteerziehung betrieben. Während früher die zielbezogene Einflussnahme mehrheitlich in einer direktiven Form vollzogen wurde (die Führungskraft kannte die Ziele und Wege „besser“ als der Geführte), wandelt sich dies in der heutigen Zeit aufgrund der komplexer werdenden Anforderungen, die ein Mitarbeiter in seinem Verantwortungsbereich zu bewältigen hat.


Die Anforderungen an die Führungszunft werden sich in der Zukunft aufgrund folgender Sachverhalte weiter verändern.

  • Die Verwissenschaftlichung vieler Lebensbereiche wird ebenso weiter zunehmen wie die Komplexität der zu bewältigenden Arbeitsaufgaben. Zwangsläufig müssen in dieser Konstellation Leitungskräfte in der Zukunft in verstärktem Masse Verantwortung für Gebiete übernehmen, die sie selbst nicht mehr im Detail beherrschen. (Stichwort: Vertrauensvorschuss)

  • Die Erledigung von Aufgaben findet in vielen Fällen nicht mehr in unmittelbarem Face-to-Face-Kontakt statt. Aufgaben werden am und vom Computer bzw. von Maschinen erledigt. Eine starre Arbeitsplatzstruktur mit festen Aufgaben, Verantwortlichkeiten und Hierarchien werden zunehmend verschwinden. Arbeit wird unabhängig von Inhalten, Standorten und Prozessen. Projektarbeit wird Linienarbeit verdrängen. Projekterfolge garantieren Karriere. (Stichwort: Führen im virtuellen Raum)

  • Vermehrt werden Frauen mit mindestens gleichwertiger, qualitativ hochstehender Ausbildung und dem Anspruch auf Gleichbehandlung als Führungskräfte und Geführte in Organisationen vertreten sein. (Stichwort: Gleichberechtigung)

  • Die steigende Qualifikation in der Arbeitnehmerschaft führt häufig dazu, dass es der „Geführte“ ist, der besser weiß, wie das Ziel zu erreichen ist. Die gestiegene Komplexität und der damit erhöhte Zwang zur Spezialisierung können dazu führen, dass die Leitungskraft nicht einmal mehr die Ziele eines jeden seiner Mitarbeiter qualitativ hinterfragen kann. Er muss Vertrauen aufbauen, langfristig delegieren und sich dann auf die ordnungsgemäße Erfüllung verlassen können, da ihm teilweise eindeutige Kontrollkriterien fehlen. Führung wird so mehr und mehr zu einer Koordination von Spezialisten. Der „Obersachbearbeiter“ hat ausgedient. Das Prinzip der Komplementarität von Fähigkeiten, Fertigkeiten und Verhaltensweisen im Wechselspiel zwischen Führungskraft und Mitarbeiter wird zum Erfolgsfaktor. (Stichwort: Komplementärmanagement)

  • Der an die Unternehmen offensiv herangetragene Anspruch an ökologisch und gesellschaftlich bewusstes Handeln verlangt vom Manager, dass er nicht nur sein engeres Aufgabenfeld verantwortet, sondern auch die Nebenwirkungen der Leistungen seines Unternehmens in seinem Handelns mit bedenkt. (Stichwort: Sozialverträgliches Handeln)

  • Die zunehmende Internationalisierung von Unternehmen und die Vereinheit­lichung von Märkten verlangen von der neuen Führungskraft Offenheit und Sensibilität in einer neuen Denk- und Handlungswelt. (Stichwort: Interkulturelle Handlungs-kompetenz)

Ob die Führungszukunft zu mehr Qualität oder Qualen führt, hängt neben den unter-nehmerischen Umfeldbedingungen und den strategischen, strukturellen und kulturellen Gegebenheiten der Unternehmung, entscheidend vom Wechselspiel der Führungskraft mit dem einzelnen Mitarbeiter ab.


Die Fähigkeit zur aufrichtigen Selbstreflexion und die Bereitschaft zur kontinuierlichen Fremdreflexion seiner Verfahrens- und Verhaltensweisen im Führungsalltag lassen den „Funktionsträger“ Führungskraft zur Führungspersönlichkeit reifen. Das Können (Qualifikation) und Wollen (Motivation) wäre dann vorhanden. Besonderer Frust entsteht bei Führungskräften, die solche Führungsqualitäten im Unternehmen nicht ausleben dürfen (eingeschränkter Handlungsspielraum). Die Folgen sind die interne oder externe Kündigung. Spätestens dann würde ein so individuell qualvoll empfundene Führungsalltag zum unternehmerisch unwirtschaftlichen „Führungs­zahltag“.


Litetraturhinweise:

Neuberger, O: Führen und führen lassen, 6. Aufl., Stuttgart, 2002.

Hofmann, L./ Linneweh, K./ Streich, R. K.: Erfolgsfaktor Persönlichkeit, München, 2006.

Comelli, G./ von Rosenstiel,  L.: Führung durch Motivation, München, 2009.


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